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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Helmut Loeven:

Es hat gewählt: Der Untertan


Der Metzger Nr. 66 (März 2003)


In Deutschland wird das Parlament in geheimer Wahl gewählt. Aber die Leute wählen, als würde ihnen dabei jemand über die Schulter schauen. In einer Demokratie, deren auffälligstes Merkmal ein eklatanter Mangel an demokratischem Bewußtsein ist, sind Wahlen eine Veranstaltung zur Bestätigung der Mächtigen: Ja, wir sind einverstanden. Eigentlich hätte die Einführung des allgemeinen Wahlrechts die Abschaffung des Untertanen bedeuten müssen. Das ist nicht eingetreten, und darum gewinnt die CDU. Die CDU paßt zur Demokratie wie Straßenteer in ein Rezept für Pudding. Der Erfolg dieser Partei der Engherzigkeit, der Engstirnigkeit kommt daher, daß der Wähler, der Souverän, ein Untertan geblieben ist. Teer im Pudding ist wie ein Untertan in der Wahlkabine.

Man soll nicht verallgemeinern. Nicht jeder wählt CDU. Nicht jeder ist vom Charakter her ein Untertan. Und nicht jeder, der von Politik nichts versteht und dem infolgedessen falsche Entscheidungen unterlaufen, muß deshalb ein doofer Mensch sein. Bei gutem Wetter oder nach einem guten Essen könnte man vielleicht sogar sagen: Die Menschen sind nicht wirklich so schlecht, wie das, was sie tun, wenn sie einen Stimmzettel ausfüllen. Oder doch?

Manche wählen die SPD. Wer SPD wählt, ist, tendenziell, ein bißchen moderner und aufgeklärter als jemand, der CDU wählt. Darum verliert die SPD meistens. Überzeugte Sozialdemokraten gibt es nur wenige. Die meisten, die SPD wählen, halten sie für das „kleinere Übel“. Sie wählen die SPD, weil sie die CDU nicht wollen. Das sind auch nicht viele.

Trotzdem hat die SPD die Bundestagswahl gewonnen, und zwar zum zweiten Mal hintereinander. Was war los?

Der Untertan ist ein sehr komplizierter Charakter. Seine Entscheidungen folgen nicht den Gesetzen der Logik und der Einsicht. Man kann sich noch nicht einmal darauf verlassen, daß das Marmeladenbrot, das auf die Erde fällt, auf der Marmeladenseite landet. Darum ist jetzt Schröder Bundeskanzler und nicht Stoiber. Aber eigentlich ist die CDU doch die Staatspartei, sie ist die eigentliche Obrigkeit, und der SPD haftet immer noch der Umsturz an. Es fällt schwer, es zu glauben, aber es ist so. Vielleicht liegt es daran, daß Sozialdemokraten sonntags länger schlafen.

Manche Untertanen haben einen kleinen Attentäter im Ohr. Darum haben viele Untertanen diesmal SPD gewählt, obwohl sie sich eigentlich verpflichtet fühlen, CDU zu wählen. Die sind am 22. September nach Hause gegangen und haben sich gesagt: „Bo! Jetzt haben wir uns aber was getraut!“

Aber dann meldet sich das Gewissen (sonst zuständig dafür, daß die Handtücher nicht kratzen). Was haben wir getan! SPD! Die Opposition regieren lassen! Wenn er es einmal tut, verzeiht der Untertan es sich nochmal. Aber zweimal! Dann kommt so eine Stimmung auf wie in den Monaten nach der Wahl, als sich Ungeheuerliches herausstellte: Der Staat ist pleite, die Kassen sind leer, im Haushalt ist ein Loch! Ja, wenn man das geahnt hätte! Und weil für die, die Schröder zur Mehrheit verholfen haben, eigentlich doch die CDU die Staatspartei, die eigentliche Obrigkeit ist, nehmen sie der SPD alles das übel, was sie sich von der CDU gefallen ließen.

Wenn man diese Leute fragt, dann sind sie a) dagegen, daß das Staatsdefizit steigt, b) dagegen, daß die Steuern steigen, und c) dagegen, daß die Leistungen der Öffentlichen Hand eingeschränkt werden. Alles drei zusammen geht aber nicht. Wenn man kein höheres Defizit will und auch nicht, daß die Leistungen gekürzt werden, muß man zu höheren Steuern bereit sein. Wenn man kein höheres Defizit und auch keine höheren Steuern will, muß man auf Leistungen verzichten. Wenn man bei gleichen Leistungen keine höheren Steuern zahlen will, muß man ein höheres Defizit in Kauf nehmen. Aber die Leute schimpfen, wenn gespart wird und wenn nicht gespart wird, wie dumme Kinder, die alles haben wollen und damit dann auch nicht zufrieden sind. Wenn man ihnen einen Porsche schenkt, sind sie beleidigt, weil er so viel Platz wegnimmt.

Allerdings könnte das Dreieck aus Steuererhöhung, Leistungskürzung und Defizit durchbrochen werden: indem der Staat sich spaßeshalber mal das Geld da holen würde, wo es ist: bei den Reichen. Denn nicht der Eichel zieht den Leuten das Geld aus der Tasche, sondern die, die zu viel davon haben und meinen, es wäre zu wenig.

Aber von wegen! Tun Sie es sich mal an, die Sendung von Sabine Chritiansen zu gucken. Am meisten wird geklatscht, wenn jemand mal wieder Entsolidarisierung predigt, die Enteignung der Armen, der Alten und der Schwachen. Die Leute möchten doch so gern den Mächtigen sekundieren, auch wenn sie gar nichts davon haben. (Die schöne Lina hat die Stimmung im Lande als den „Aufstand der Doofen für die Reichen“ bezeichnet , und ich finde es schade, daß der Satz nicht von mir ist). Das Sozialsystem ist gegenwärtig bei denen am wenigsten beliebt, die es am dringendsten brauchen. Für die Gewerkschaft gilt dasselbe.

Dabei haben die, die von der Entsolidarisierung der Gesellschaft das Heil erwarten, allen Grund, mit der Regierung zufrieden zu sein. Unter dem Motto „Hunde, wollt ihr ewig gesund sein“ werden die Krankenkassen „entlastet“ durch höhere „Selbstbeteiligung“. Dabei haben die, die sich „selbst beteiligen“ sollen, den Krankenkassenbeitrag in voller Höhe selbst bezahlt (durch den Arbeitnehmeranteil, der vom Lohn abgezogen wird, und den Arbeitgeberanteil, den sie durch ihre Arbeit für den Arbeitgeber erwirtschaftet haben). „Selbstbeteiligung“ heißt im Klartext: Nochmal zahlen. So, wie in den Zeiten der Cholera (pardon: Kohl-Ära) das Wort „Reform“ zum Synonym für Rückschritt wurde, bedeutet „Entlastung“, daß man mehr bezahlen muß. Clement torpediert den Kündigungsschutz. Das ist eine Maßnahme zur Senkung der Arbeitslosenzahlen, versteht sich. Verstehe ich nicht. Wer den Kündigungsschutz loswerden will, der will nicht einstellen, der will entlassen.

Das ist nämlich so: Die SPD hat gehört: „Was? Die Leute halten uns für das 'kleinere Übel'? Das lassen wir nicht auf uns sitzen!“