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Ausgewählte Beiträge aus dem Satire-Magazin DER METZGER


Lina Ganowski:

Im Westen nichts Neues


(Der Metzger 72 – März 2005)


Das Reizthema Nr. 1 für die Rechtsextremen in Deutschland in den letzten Jahren war die Wanderausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht. Die Ausstellung brachte nichts völlig Neues ans Tageslicht. Die Fakten waren bekannt. Die Wehrmacht hatte auf dem Balkan und in der Sowjetunion (und nicht nur dort) einen Vernichtungskrieg geführt. Sie war am Völkermord beteiligt. Doch nie zuvor waren diese Fakten in solcher Breite dargestellt worden und hatte dieses Thema so viel Aufmerksamkeit erregt. Die rechten Kameraden fühlten sich provoziert. Sie zogen auf die Straße, um „Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht“ zu wahren und zu beteuern: „Unsere Großväter waren keine Verbrecher!“

Ob die rechten Kameraden über das, was die Wehrmachtsausstellung so klar vor Augen hielt, in ihrem tiefsten Innersten getroffen waren, mag dahingestellt sein. Sie konnten sicher darauf kalkulieren, einen Resonanzboden für ihre Parolen vorzufinden. Denn hier im Inneren des Landes da leben sie noch, die alten Wehrmachtssoldaten. Und einen Opa hat ja auch jeder (genaugenommen sogar derer zwei).

Zwar hat noch keine offizielle Stelle die Soldaten und Offiziere der Wehrmacht verdammt und mit Asche beschmissen. Aber Ruhm und Ehre genießen konnten sie trotzdem nicht so richtig. Ständig spüren sie die Last der „Vergangenheitsbewältigung“ auf ihrer Vergangenheit. Ständig wird ihr aufopferungsreiches Handeln mit „Schuld“ assoziiert. Ständig fühlen sie sich umschwirrt von Kritikern, linken Intellektuellen und Nestbeschmutzern. Bei ihren Nachkommen stellte sich kein rechter Uniformfetischismus ein. Das nagt. Die rechten Kameraden wissen das. Sie nutzen es aus.

Das Rezept ist nicht neu. Es hat sich schon einmal bewährt: in den letzten Tagen der Weimarer Republik. Auch damals gab es ein kulturelles Ereignis, das die deutsche Volksseele peinigte, weil es der Wahrheit verpflichtet war - der Wahrheit über einen Weltkrieg.

Am 5. Dezember 1930 wurde im Berliner Mozart-Kino am Nollendorfplatz der Film „Im Westen nichts Neues“ uraufgeführt. Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque erzählt die Geschichte einiger Jungen, die, noch nicht ganz erwachsen, 1914 von der Schulbank weg in die Armee einberufen wurden, angesteckt von der vaterländischen Begeisterung, beduldelt von den patriotischen Parolen ihrer Lehrer. Was sie dann erleben, ist die Wirklichkeit: der Stellungskrieg in Frankreich, wo für einen zeitweiligen Geländegewinn von ein paar hundert Metern zigtausend Männer verrecken.

Gegen diesen Film, der den Ersten Weltkrieg so zeigte, wie er war, eine Hetzkampagne vom Zaun zu brechen, war die Bewährungsprobe für den von Hitler zum „Gauleiter von Berlin“ ernannten verkrachten Schriftsteller Joseph Goebbels. Von der Galerie dirigierte der spätere „Propagandaminister“ höchstpersönlich die Störaktionen der SA während der Uraufführung. Auch die folgenden Vorstellungen gingen im SA-Krawall unter, der sich bis auf die Straße fortsetzte. In seiner Zeitung „Der Angriff“ gab Goebbels die Parolen aus: „Nieder mit dem Sudelfilm! Für die Gefallenen des großen Krieges! Rettet ihre Ehre! Rettet ihr Andenken!“

Goebbels und die NSDAP konnten ihre Kampagne gegen den Film als Erfolg verbuchen. Denn sie wußten, daß sie mit ihrer Meinung über einen Film, der den Krieg zutreffend darstellte, nicht isoliert waren. Patriotische Abgestumpftheit hatte ihre Wirkung getan. Aber Goebbels war es um mehr gegangen als um einem schnellen Erfolg bei denen, die den Krieg als Völkergemetzel, in dem der Mensch als Treibstoff des Imperialismus verheizt wurde, nicht wahrnehmen wollten. Weitsichtig hatte er sich an einem Kunstwerk festgebissen, das für ihn die „marxistische Asphaltdemokratie“ repräsentierte: „In Wirklichkeit ... handelte es sich um eine prinzipielle Frage: darf es die Asphaltdemokratie weiterhin ungestraft wagen, angesichts der zunehmenden Nationalisierung der breiten Massen dem deutschen Publikum eine solche Verhöhnung deutscher Ehre und deutscher Tradition anzubieten?“

Goebbels stellte sich einer Kunst entgegen, die der Vernunft, der Klarheit und der Menschenfreundlichkeit zum Durchbruch verhelfen wollte. All das, was die „Neue Sachlichkeit“ aus den Ateliers und von den Bühnen verbannte, das Heldische, Bombastische, Schwüle, das Mystische, den Rausch, die Weihe, trug Goebbels auf die Straße, in die Wirtshaussäle. Je weniger hymnisch-pathetisch die Sprache der Literatur wurde, desto mehr wurde dies die Sprache der Politik, mit der Hitler und Goebbels sich an die Massen wandte. Für diese Politik, das wußte Goebbels, werden Anhänger nicht durch Argumente gewonnen, sondern durch eine Stimmung.

Die Nazi-Krawalle riefen die staatlichen Organe auf den Plan. Und zwar so: Wegen „Schädigung des deutschen Ansehens“ verbot die „Filmoberprüfstelle“ den Film „Im Westen nichts Neues“ für das ganze Reichsgebiet.

Es ist zu befürchten, daß die Berliner Republik ebenso hilflos-dümmlich vor den Faschisten zurückweicht wie einst die Weimarer. Wenn sich mal eine Ordnungs- oder Polizeibehörde dazu durchringt, einen Aufmarsch der Rechten zu verbieten, liest man in der Begründung meistens: es wären Gegendemonstranten zu erwarten.

P.S.: Im sächsischen Landtag war die Wehrmachtsausstellung auch Thema: „So sollen 18 Millionen zumeist wehrpflichtige deutsche Soldaten, die gesamte Generation unserer Väter und Großväter, zu Tätern ..., zu Mördern gestempelt werden.“ Aber nein, so sprach nicht ein Abgeordneter der NPD! Das kam vom Abgeordneten Volker Schimpf (CDU).